Aus Protest

Mein Austritt aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen und Niederlegung meines Dortmunder Ratsmandats

Im Februar 2024 bin ich aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen ausgetreten und habe mein Dortmunder Ratsmandat niedergelegt. Mir ist es ein Anliegen, meine Begründung öffentlich zu machen, wie ich sie in der Austrittserklärung und in einem Brief an die Ratsfraktion formuliert habe.

Während für mich angesichts der Asylpolitik der Grünen eine weitere Mitgliedschaft in der Partei indiskutabel geworden war, war es eine wirklich schwierige Entscheidung, auch mein Ratsmandat niederzulegen. Ich habe die konstruktive Atmosphäre in der Fraktion und im Rat sehr geschätzt, und ich wäre auch gern weiterhin meinem demokratische Mandat durch das konstruktive Einbringen und Umsetzen progressiver Ideen gerecht geworden. Aber mir wurde eine Weiterarbeit in der Fraktion als Parteilose unmöglich, weil mein Eindruck war, dass ich mich auf diese Weise nicht deutlich genug von der Partei distanziert hätte.

Ich sehe mich in diesem Bedürfnis nach scharfer Distanzierung aufgrund der aktuellen Entwicklungen bestätigt. Nicht nur, dass die Grünen dem GEAS-Reformpaket zugestimmt haben: Sie treiben auf nationaler Ebene eine noch schnellere und schärfere Umsetzung mit voran, als es im Rahmen der Verabschiedung dieser EU-Reformen nötig wäre.

Dies ist meine Kündigung der Mitgliedschaft und die Erklärung der Niederlegung meines Ratsmandats in Dortmund, gekürzt um ein paar Formalitäten und mit kleineren Korrekturen. Darunter steht der Brief an die Ratsfraktion.

Kündigung der Mitgliedschaft und die Erklärung der Niederlegung meines Ratsmandats in Dortmund (19.01.2023)

Bündnis 90/Die Grünen
Dr. Gudula Frieling
Gebietsverband NRW
KV Dortmund
Dortmund, 19.01.2023

Betreff: Kündigung meiner Mitgliedschaft bei Bündnis 90/Die Grünen und Niederlegung meines Mandats für den Stadtrat Dortmund aus Protest gegen die Zustimmung zur inhumanen Flüchtlingspolitik an den Außengrenzen der EU durch grüne Spitzenpoliker*innen

Hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen mit sofortiger Wirkung. (…)

Schweren Herzens lege ich damit auch mein Mandat für den Stadtrat Dortmund nieder. Die notwendigen Rahmenbedingungen für die ansonsten konstruktive Arbeit der Grünen Fraktion im Dortmunder Stadtrat sind für mich aufgrund der durch Grüne Spitzenpolitiker*innen auf Bundes- und Europaebene gefällten Entscheidungen nicht mehr gegeben.

Meine Gründe: Wer die Unmenschlichkeit des vor Jahresende beschlossenen neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems nicht beim Namen nennt, sondern es im Gegenteil entgegen früheren Aussagen für „dringend notwendig“ erklärt, wie Annalena Baerbock es tut, reißt die humane Asyl- und Flüchtlingspolitik ein, für die NGOs und Grüne Jahrzehnte lang gemeinsam gekämpft haben.

Es kann niemals notwendig oder gar überfällig sein, Menschenrechte zu verweigern! Im Sumpf kann ich nicht gehen, nicht atmen, in diesen Widersprüchlichkeiten finde ich mich nicht zurecht und will ich mich nicht zurechtfinden. Wie kann ich mich als Grüne Kommunalpolitikerin für geflüchtete Menschen einsetzen und zugleich akzeptieren, dass Geflüchtete an den Grenzen Europas ohne Gerichtsverfahren ihrer Freiheit beraubt und in Lager (!) eingesperrt werden – Kinder, Frauen und Männer. Letztere sind oft Kriegsdienstverweigerer – einige von ihnen kenne ich persönlich – aus Syrien, aus Eritrea kommen sie. Der eine wurde von Assad gefoltert, der andere in Eritrea einkaserniert – für ein Jahrzehnt. Frauen erleiden auf der häufig Monate oder Jahre währenden Flucht oft Vergewaltigungen, ein schambesetztes Thema. Menschen, denen es gelungen ist, diesen Höllen zu entfliehen, verdienen unseren Schutz und unsere Fürsorge! Sie haben ein Recht, mit Begleitung durch einen Anwalt einen Asylantrag zu stellen, der seriös geprüft werden muss (UN-Menschenrechtcharta Artikel 14). Die Politik der Abschreckung, die ihnen dieses Recht verweigert, ist inhuman, rassistisch und hält im Übrigen nicht, was sie verspricht. Ich verachte sie.

Machtpolitik sollen die machen, die über Leichen gehen, die Melonis, die Orbans, und wenn Grüne Spitzenpolitiker*innen meinen, es gäbe keinen Ausweg, als mit ihnen mitzumarschieren, dann müssen sie ohne mich marschieren. Ich bin raus. Es gibt keine Legitimation für Gewalt gegen Geflüchtete, keine Legitimation von Brutalität, wie sie die Zusammenarbeit mit der sogenannten Libyschen Küstenwache darstellt, keine Legitimation für die Missachtung der universalen Menschenrechte – auch nicht eine vermeintliche „europäische Solidarität“. So redet man die besten Begriffe kaputt.

Ich kündige meinen Widerstand an gegen die Politik der Ausgrenzung ebenso wie gegen die Verharmlosung der Klimakatastrophe. Beides hängt miteinander zusammen: Europa akzeptiert steigende Meeresspiegel und gibt vor, das Problem lösen zu können, indem es seine Deiche gegen Wasser und seine Mauern gegen Flüchtlinge höher baut, staatliche Seenotrettung einstellt und die private Seenotrettung kriminalisiert, anstatt solidarisch mit den Ärmsten der Welt und den Opfern der Klimakatastrophe zu sein und gemeinsam mit ihnen die wahren Fluchtursachen zu bekämpfen.

Ich werde den Kampf um ein humanes Europa nicht aufgeben. Ich werde die Rhetorik der Lüge – Begriffe wie „Fiktion der Nichteinreise“, „Sichere Herkunftsländer“ etc. nicht akzeptieren. Diese Lügenkonstrukte müssen fallen, die Festung Europa muss fallen. Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Mit freundlichen Grüßen
Gudula Frieling

Brief an die grüne Fraktion im Stadtrat Dortmund (26.02.2024)

Liebe Fraktionellis,

als Konsequenz aus meiner Auseinandersetzung mit dem Neuen Gemeinsamen Asylsystem, das kurz vor Weihnachten beschlossen wurde, habe ich mich aus Protest gegen diese Verordnung schweren Herzens entschieden, meine Mitgliedschaft in unserer Partei und meine Ratsarbeit zu beenden.

Das habe ich euch leider wegen meiner Krankheit und wegen der Komplikationen bei dem Krankentransport meiner 98jährigen Tante aus Freiburg, die in ein Pflegeheim in Dortmund gezogen ist, erst Ende Januar auf der Fraktionssitzung mitgeteilt. Diejenigen, die oneline zugeschaltet waren, haben das nicht alle mitbekommen und auch darüber hinaus ist es mir ein Anliegen, euch noch einmal schriftlich etwas genauer zu erläutern, warum ich diese Entscheidung so und nicht anders getroffen habe.

Es lag definitiv nicht an Auseinandersetzungen in unserer Fraktion, die ich als konstruktiv und ehrlich erlebt habe. Sehr gern hätte ich mein Mandat mit euch als Teil der Grünen Ratsfraktion weiter wahrgenommen, gerade in dieser für den Erhalt der Demokratie so entscheidenden Zeit. Aber genau dieser Schutz der Demokratie wird aus meiner Sicht durch die auf Bundes- und Europaebenen gefällten Entscheidungen zur neuen Gemeinsamen Asylsystems untergraben. Mich deprimiert und entsetzt das: Endlich spielen Grüne Spitzenpolitker*innen auf diesen Ebenen mit – und sie tragen Menschenrechtsverletzungen mit, gegen die ihre Partei seit Jahrzenten gekämpft hat! Als 2018 erstmals der damalige CSU-Innenminister Horst Seehofer Asylverfahren in geschlossenen Lagern an der EU-Außengrenze vorschlug, war bei uns Grünen das Entsetzen groß, und auch Annalena Baerbock und Claudia Roth kritisierten den Vorschlag heftig. Im Partei- und Wahlprogramm zur EU-Wahl 2019 – ihr erinnert euch an unseren großen Erfolg damals auch in Dortmund – lehnten wir diese Vorschläge entschieden ab. 2020 übernahm die CDU diesen Seehofer-Plan, die Umsetzung scheiterte aber damals daran, dass es keine Einigung über den Verteilmechanismus gab. … Und jetzt wurden mit Grüner Zustimmung kurz vor Weihnachten diese menschenverachtenden Seehoferpläne von 2018 mit Grüner Zustimmung umgesetzt – ohne Ausnahmen für Kinder und Jugendliche und ohne einen Verteilmechanismus.

Ich habe die letzten Wochen – und auch schon den Sommer über immer wieder – sehr mit mir gerungen und bin letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass ich es nicht kann: mich weiter lokal in einer Partei zu engagieren, deren Spitzenpolitiker*innen auf Bundes- und EU-Ebene in diesem, für die Anerkennung der universellen Menschenrechte so bedeutsamen Thema wie dem Recht auf Asyl und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und dem Recht auf Bewegungsfreiheit gravierende Menschenrechtsverletzungen nicht nur zulassen, sondern ihnen durch gemeinsame Beschlüsse den Anschein von Legitimität verleihen.

Das ist nicht mein Europa. Es ist niemals, wie Annalena meint, „dringend notwendig und längst überfällig, “ Beschlüsse zu fassen, in deren Folge Menschen – Erwachsene und Kinder systematisch – ohne gerichtliches Verfahren ihrer Freiheit beraubt und eingesperrt werden. Niemals ist es notwendig Menschenrechte zu verletzen! Obendrein wird den Geflüchteten ihr individuelles Grundrecht auf Asyl verweigert – ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, Artikel 33. Denn alle, die aus einem vermeintlich „sicheren Herkunftsland“ (auch das ist inzwischen ein Lügenbegriff, mittels dessen die Realität in dem jeweiligen Land ausgeblendet wird) in die EU eingereist sind, werden nach GEAS 2023 ohne Prüfung ihres Asylantrags in dieses Land zurückgeschoben.

Ich kann da nicht mitgehen, ich kann das nicht vertreten und ich kann nicht Teil einer Partei sein, die entgehen früheren Aussagen und entgehen ihrer langen Tradition humaner Flüchtlingspolitik jetzt, da sie Teil der Bundesregierung ist, diesen restriktiven und menschenverachteten Weg der rechts-autoritären Regierungen Europas mitgeht. Ich bin überzeugt: Wir werden die Demokratie nicht retten, wenn wir selbst rechte, rassistische Politik legitimieren und umsetzen. Das ermutigt die Naziparteien nur immer dreisterer, extremere Forderungen zu stellen (…) Mit meiner Kritik stehe ich voll und ganz hinter dem Aufruf „Menschenrechtspakt in der Flüchtlingspolitik“, den 270 Wissenschaftler*innen als Erstunterzeichner unterschrieben und im September 2023 veröffentlicht haben.

Für meine mit eineinhalb Jahren leider kurze Zeit in der Grünen Ratsfraktion bin ich sehr dankbar! Ich habe viel gelernt und gern mit euch zusammengearbeitet. Ich bleibe euch freundschaftlich verbunden und werde auch als Nichtgrüne weiter für Grüne Ziele mit euch kämpfen. Ich verstehe auch die Gründe, dabei zu bleiben, Verantwortung hier in Dortmund und darüber hinaus wahrzunehmen und hoffentlich (bitte!) dafür zu kämpfen, dass sich bei den Grünen diejenigen durchsetzen, die den Abbau des individuellen Rechts auf Asyl rückgängig machen wollen etc.. Aber ich merke, dass ich es nach den jetzt gefällten Entscheidungen nicht mehr kann – dieser Spagat ist für mich nicht mehr zu schaffen und, wie gesagt: Ich fürchte, diese Politik wird unsere Demokratie nicht schützen.

Mein Eindruck ist, dass derzeit die Weichen immer deutlicher gestellt werden für ein Europa, das sich militärisch gegen Flüchtlinge, unter denen die Zahl der Klimaflüchtlinge zunimmt, abschottet und mit den Diktatoren dieser Welt zusammenarbeitet um, um Geflüchtete wieder los zu werden (Rücknahmeabkommen). Zugleich geht es darum, auf die Rohstoffe dieser Welt zuzugreifen, um sich selbst z.B. mit Wasserstoff ein grünes Image auf Kosten sehr armer Länder wie Namibia zu geben.

Zum Abschluss nur ein Beispiel dafür, wie die Abschottung Europas die Rechte und Rechtsextreme stärkt und ihnen Ansehen und den Anschein von Legitimität verschafft: Der Ex-Chef von Frontex, Fabrice Leggerie, tritt jetzt auf Platz 3 bei der Europawahl für die Partei der Französischen Rechtsnationalistin Marie Le Pen an. Ich will nicht wissen, wie viel Menschen mit rechtsextremen Einstellungen bei Frontex arbeiten und ob sie, je länger sie dort sind und je höher sie auf der Karriereleiter klettern, umso rechter und brutaler werden oder eben doch lieber kündigen (…) (eine sozialwissenschaftliche Studie darüber wäre bestimmt aufschlussreich).

Über meine Arbeit in der Kirchenasylbewegung bekomme ich mit, dass seit etwa sechs bis acht Jahren die eingereichten Dossiers der Kirchengemeinden, in denen die Gemeinden die Bedrohung an Leib und Leben darstellen, denen die von Abschiebung bedrohten Menschen in ihrem Herkunftsland ausgesetzt wären, vom Bundesamt für Migration und Flucht nicht mehr substanziell geprüft werden. Lag bis etwa 2018 die Anerkennungsquote von Kirchenasylen bei mindestens 40 Prozent, ist sie jetzt bei geradezu Null. Die Devise ist inzwischen: Abschieben um jeden Preis. Die Behörden erkennen nicht mehr an, dass es zu Fehlentscheidungen kommen kann, die sie revidieren müssen.

Ich hoffe, dass ihr, wenn es in Dortmund Versuche der Polizei geben sollte, Kirchenasyle zu räumen, ein Wort für Geflüchtete und für die Menschenrechtsaktivisti in den Gemeinden einlegt. Auch hoffe ich nach wie vor, dass wir beim Thema Landwirtschaft und Ernährung in Dortmund weiter vorankommen … Bei diesem Thema kann ich mir vorstellen, im Ernährungsrat als Solawisti eine aktivere Rolle wahrzunehmen und unsere Ideen in den Stadtrat zu vermitteln. Ebenso will ich das Thema Ökologischer Stadtwald weiter verfolgen – hier als Mitglied des BUND. Mal schauen. Ich schicke euch gleich noch die Begründung für meinen Parteiaustritt auf Bundesebene.

Alles Gute für euch und viel Erfolg!
Liebe Grüße
Gudula